Donnerstag, 23. April 2020

Zolligeschichten 2


Die Bezeichnung Zolligeschichten, für Erzählungen von mir, die meine Frau zwar interessant, aber im Moment nicht passend fand, hatte einen Grund. Es gab eine Zeit, da ich einen Morgen pro Woche im Zoo verbrachte und Tiere zeichnete. Dabei konnte man einiges erleben.

Während unserer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule hatte wir jeweils am Montagmorgen Tierzeichnen im Zoologischen Garten, beim Basler Maler Gusti Stettler. Er hatte eine klare Vorstellung davon, mit welchen Tieren man als Anfänger zu beginnen hatte. Rinder, Hirsche, Ziegen. Keine Vögel, und schon gar keine Bären oder Raubkatzen, die seien für uns zu schwierig. Ich begann mit den afrikanischen Zwerggeissen, ich glaube, mein allererstes Blatt aus diesem Unterricht habe ich noch. Da die Modelle nie lange stillhielten, musste ich eine Strategie lernen. Man beginnt mit einer Stellung, und wenn das Tier wegläuft, sich dreht oder hinlegt, fängt man ein eine zweite Zeichnung an, und so weiter, bis man drei vier Skizzen auf dem Papier hat. An diesen zeichnet man abwechselnd dann weiter, wenn die Ziege, oder was auch immer, wieder ungefähr in einer der Stellungen verharrt. Da wir vom Lehrer angehalten wurden, mehrere Montage beim gleichen Tier zu bleiben, stellte ich bald fest, dass sich gewisse seiner Eigenheiten, Formen, Silhouetten, Proportionen, aber auch Bewegungsabläufe und typische Haltungen, ins Gedächtnis einprägen. So kann man begonnene Zeichnungen auswendig ergänzen oder gar fertigstellen. Stettler klopfte einem aber auf die Finger, wenn man zu sehr aus der Routine schöpfte und seiner Meinung nach nicht mehr richtig hinschaute. Nach einer Weile durfte man sich die Tiere frei aussuchen. Ich spezialisierte mich während kürzerer oder längerer Phasen auf Menschenaffen, dann auf Vögel, und schliesslich auf die Raubkatzen.

Der Montagmorgen war eine interessante Zeit, um im Zolli zu sein. Die grossen Raubkatzen zum Beispiel bekamen an diesem Tag nichts zu essen, und waren in dieser verordneten Fastenzeit viel lebendiger als sonst. Oder sie wurden auf eine Weise gefüttert, die man lieber vor spärlichem Publikum ausprobierte, mit ganzen Ratten für die schwarzen Panther, die bald aussahen wie geteert und gefedert, über und über verklebt waren mit Blut und weissen Haaren. Es gab nur sehr wenige Besucher, meist ältere Leute, Rentnerinnen und Rentner, welche die Tiere persönlich kannten, sie begrüssten und manchmal sogar umgekehrt erkannt und begrüsst wurden. Bei den Menschenaffen setzten sich in jener Zeit neue Methoden durch, wie man die zootypische Langeweile und Schwermut der Primaten vermindern könne durch abwechslungsreiche Spielangebote. Sie bekamen jeweils am Montag Nachschub, und immer etwas Neues. Jutesäcke für die Orang Utan. Holzwolle in Hülle und Fülle für die Schimpansen und Gorillas. Wir vergassen zwischendurch ob des Spektakels das Zeichnen. Es ergaben sich aber auch witzige Motive, ein junger Orang zum Beispiel, der sich einen Kapuzenmantel aus den Säcken zurechtriss und sich immer wieder neu damit verkleidete, die andern provozierte und erschreckte. Ich habe mehrere Blätter mit diesem Clown gefüllt. Wir legten unsere Zeichenutensilien auf dem Betonsims vor den grossen Glasfronten der Käfige ab. Vor allem die Schimpansen zeigten sich sehr interessiert, wenn wir in unseren Kästchen und Tüten nach dem Knetgummi oder den Kohlen kramten. Bei den Gorillas fanden wir heraus, dank unseres Halbwissens aus Artikeln und Filmen über Dian Fossey, wie man mit ihnen in Kontakt kommen kann. Wenn man sie direkt fixiert, wenden sie sich ab. Dreht man sich aber umgekehrt von ihnen ab und schaut nur ab und zu, quasi verschämt und über die Schulter, durch das Glas zu ihnen, nehmen sie das Spiel auf, und es ergibt sich eine Art Flirt über die Artgrenze hinweg. Sehr aufregend!

Mit uns künftigen Zeichenlehrern war ein Lehrling im Tierzeichnen, der Tierpräparator werden wollte. Wir kannten ihn schon aus dem dreidimensionalen Gestalten, das er auch mit uns zusammen absolvierte. Wegen seines Plappermauls und der Ausrüstung, die er dort trug, erhielt er von einem von uns einen Übernamen. Der Edi mit der Gärtnerschürze. Hatte er uns schon in der Werkstatt dauernd mit seinen Ratschlägen traktiert, so war er nun im Zoo erst recht in seinem Element. Er wusste alles und kannte alle. Immer um zehn Uhr durften wir im Zollirestaurant Pause machen. Als wir einmal von dort wieder zu unseren Feldstühlen zurückkehrten, kamen wir mit Edi, der links und rechts alles kommentierte, am Gehege der Fischotter vorbei. Eine niedere Betonmauer, dahinter der Wassergraben, dann die Pseudolandschaft mit Betonfelsen, darauf verteilt ein paar Fischotter. Edi beugt sich weit über das Mäuerchen und streckt einem der Tiere, mit dem er persönlich befreundet ist, seine Hand entgegen. Wusch! Wir konnten gar nicht so schnell gucken, wie der Otter Edis Hand ansprang und sich mit seinen breiten Kiefern in seinen Daumenballen festbiss. Die Hand zurückzuziehen nützte dem armen Kerl auch nichts, weil ein fauchender, ziemlich schwerer Pelzknäuel daran hing. Edi hatte grosses Glück, dass der Fischotter sich nach ein paar Sekunden ins Wasser platschen liess, ohne ihm den ganzen Daumenmuskel wegzureissen. Er hatte aber nach diesem Vorfall mehrere Wochen lang den Arm in der Schlinge. Und uns schien, dass er etwas weniger schwatzte.






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