Montag, 13. April 2020

Geschichten vom Rhein 3



Simon Starling, Shedboatshed, Gegenwartsmuseum Basel, 2005

Als der Lehrer ihnen in der Schule von dem englischen Künstler erzählt hatte zur Vorbereitung, und von dessen Projekt, das mit Holzbau zu tun habe, ahnte sie schon, dass es sich um Simon handeln könnte, den sympathischen Verrückten, der vor einem Jahr mit seinem alten Göppel angefahren war und sie fast beim Umziehen im Hüttlein überrascht hatte, oben beim Verein. Meistens zog sie sich ja zu Hause um, weil es im Clubhaus weder Garderobe noch Dusche gab für Frauen. Sie war die erste Aktive und musste selber schauen. Damals stand er also vor ihr, entschuldigte sich knapp, auf englisch. War komisch aufgeregt, so dass sie sich überlegte, ob sie abhauen sollte. Er starrte aber die ganze Zeit das Hüttlein an, redete vor sich hin. I can't believe it. It's perfect, just perfect. Rannte rundherum, machte Fotos mit einem kleinen Apparat. Stellte sich wieder vor sie. Do you speak english? Ja, war zufällig ihre zweite Muttersprache, falsch, die Vatersprache. Er lachte: What a coincidence. Ob das Hüttlein ihr sei, er meine natürlich, ob das ihrem Verein gehöre. Er hatte offenbar das Ruder gesehen, das über dem Holzstoss an der Wand hing. Sie erklärte ihm, dass es dem Wasserfahrerverein gehöre, und ja, dass sie da ihren Sport ausübe. Nun wollte er unbedingt mit jemandem von der Vereinsleitung reden, er suche genau so einen Schopf, er benutzte das Wort shed. Für ein Kunstprojekt. Er heisse Simon Starling und würde nächstes Jahr in Basel ausstellen, im Museum. Sie glaubte ihm nicht, führte ihn aber zum Clubhaus, wo er sich Telefonnummern aufschrieb und weitere Fotos machte. Sie hatte noch immer ihre nassen Klamotten an und wollte nach Hause.

An der Generalversammlung des Vereins damals, als der Präsident zum erstem Mal davon berichtet hat, dass ein englischer Künstler, zusammen mit einem Basler Museum, das Hüttlein haben wolle, da gab es grosses Gelächter. Einerseits, weil die Mannen eine solche Idee, aus einer alten Hütte einen Weidling zu bauen, völlig birnenweich fanden, typisch Künstler halt. Der werde sowieso gleich absaufen. Andererseits war es aber auch witzig, dass ihnen Arbeit und Kosten für Abriss und Entsorgung abgenommen werden sollten, ausgerechnet von so siebengescheiten Kunstkennern aus der Stadt. Man stimmte grossmehrheitlich dafür, wollte sehen. Der Präsident betonte, wie sympathisch ihm und dem Vizepräsident der Künstler und die Leute des Museums begegnet seien. Sie hatte den Künstler ja schon kennengelernt, der war wirklich sehr sympathisch gewesen, nach ihrem ersten Schreck und Misstrauen. Gegen Ende des Sommers, als ihre Wettkampfsaison schon zu Ende war und man die Weidlinge fürs Überwintern vorzubereiten begann, kamen zwei Männer, die den Schuppen zuerst fotografierten von allen Seiten, und dann mit dem Abriss begannen. Sie schaute ihnen einmal zu, zusammen mit ein paar der Jungs aus dem Verein. Der eine der Bootsbauer hiess Tilo, ein dunkelhaariger mit einer grossen, schwarzrandigen Brille, der war der Chef. Sie zerlegten die Hütte sehr sorgfältig, sie war ja damals schon in der Lehre als Zimmerin, konnte das beurteilen. Sie hatten das richtige Werkzeug, Nageleisen und Hämmer mit Kuhfüssen, um die vielen Nägel zu ziehen. Alle Einzelteile schrieben sie mit Kreide an und schichteten sie auf, wie die Treppenmacher. Den Künstler sah sie in dieser Zeit nur einmal kurz, der war offenbar nicht immer da. Dann versorgten sie alles Material und alle Werkzeuge in zwei Containern. Es hiess, sie würden das Boot später unter dem grossen Dach bauen, dort wo der Verein die Weidlinge unterstellt im Winter, und wo im Sommer auch Feste gefeiert werden. Eine Art grosse Halle ohne Wände. Dort hängt auch ein alter Weidling aus Holz, ganz oben an den Balken. Als der Verein im Frühling die Boote wieder einwasserte und die Halle frei wurde, kamen die zwei Männer zurück, der Tilo, und Johannes hiess der andere, und begannen zu bauen. Und das ging unglaublich schnell, zwei Wochen etwa, Mitte April war dann schon die Taufe mit Einwassern und das Fest. Die Männer im Verein, von denen die meisten ja auch Handwerker waren, staunten nicht schlecht. Sie kam manchmal nach der Arbeit oder nach der Berufsschule noch vorbei mit dem Velo, um zu schauen, wie das Boot Form annahm. Es interessierte sie beruflich, und die beiden waren freundlich, und lustig. Und sie kamen draus, das war deutlich. Sie hatten zwei Balken auf stabile Böcke gelegt, darauf montierten sie zuerst den Boden zusammen. Passten Bretter des Holzschopfs sorgfältig zu einer genügend grossen Fläche zusammen und verklebten sie mit einem wasserfesten Leim, den sie im Betrieb auch manchmal verwendeten. Klebrig wie Honig, macht die Hände rabenschwarz. Füllt aber Lücken selber, weil er aufschäumt. Für die Form hatten sie Papierschablonen gemacht. Die legten sie auf und sägten die Silhouette nach mit der Stichsäge.

Ein paar Tage später waren bereits die Spanten aufgeschraubt, die den Seitenwänden die Krümmung verleihen sollten. Sie hatte sich schon gefragt, wie sie die Stabilität hinbekommen würden, denn an der alten Hütte gab es keine Eichenbalken, alles nur weiches Nadelholz. Sie durfte es sich aus der Nähe anschauen. Tilo hatte Flacheisen besorgt, schon in die richtigen Winkel gebracht und verschweisst. Damit konnten sie schmale Balken zu Spanten verschrauben, die wiederum auf den Boden geklebt wurden. Dafür, und auch später für die Montage der Seitenwände, war nun das Dach sehr praktisch. Tilo und Johannes setzten Spriesse zwischen die Teile, die sie niederdrücken wollten, und die Dachbalken über ihren Köpfen, bauten Hilfskontruktionen, die zeitweise wie Fachwerk aussahen. Das gefiel ihr, das wollte sie sich merken. Simon Starling war auch in dieser Bauphase nur einmal da. Er schien sehr zufrieden mit dem, was er sah, bedauerte nur, dass er nicht mittun konnte. Aber er war im Stress, er hatte sein erstes Kind bekommen und musste zu Hause sein, sie meinte, in Berlin, nicht in England.

Die Einwasserung des Weidling sollte im Verein gefeiert werden, das wurde bekannt gegeben durch ein kleines Plakat und einen Hinweis auf der Website. Ein Spanferkel sollte es geben, offeriert und gebraten von Tilo, das fanden ihre männlichen Kollegen gut. Und einige ältere Männer im Verein wollten es nicht verpassen, wenn das Dinge absoff. Es kamen also viele Leute an dem Nachmittag, obwohl das Wetter nicht besonders schön war. Jetzt war natürlich auch der Künstler da, der Simon, wie ihn alle schon nannten. Zuerst wurde das Boot getauft, auf den Namen EVE, wobei das zweite E seitenverkehrt aufgemalt war. Sie fand das schön, dieses symmetrische Zeichen, das der Künstler entworfen hatte. Sie glaubt, es war auch der Name seiner Frau, eine Widmung. Und in seiner Rede kam er auf dieses Zeichen zu sprechen. Erklärte, dass es nochmals, wie der Name des Projekts, Shedboatshed, diese Verwandlung symbolisiere. Darüber musste sie lange nachdenken. Das Boot wurde dann beim Bödeli unten über eine Rolle ins Wasser gelassen. Alle waren gespannt, die Sprücheklopfer freuten sich schon. Dann, ein sanftes Schaukeln, der Weidling schwamm wie ein Schwan. Ein paar rannten nach unten, wollten sehen, wie das Wasser hineinströmt. Dann Rufe. Er bleibt trocken, das gibts ja nicht. Er schwimmt! Ein Mann, der auch zu den Kunstleuten gehörte und zum ersten Mal hier war, einer mit Tattoos und Ohrringen, band es fest und stieg hinein, drehte sich grinsend um und schaukelte das Boot extra fest. Grosser Applaus. Das Spanferkel war wirklich gut, mit einer knusprigen Haut. Sie ass das zum ersten Mal.

Was sie gerne wissen würde, und sich nie getraut hat zu fragen, ob der Künstler die Idee schon gehabt hatte, als er nach Basel kam, und dann mit dem Velo nach Muttenz. Ob er es auch so sehe, dass er unglaubliches Glück gehabt habe, wie alles so zusammenpasste. Und, was denn eigentlich sein Kunstwerk sei bei dem Ganzen, wo der ganze Bau, hin und zurück, ja von andern gemacht worden sei. Von Leuten wie sie, die Zimmerin. Oder fast wie sie. Der Tilo war ja auch so etwas wie ein Künstler, so wie der redete. Aber wenn sie ihm zuschaute, war er wie ihr Lehrmeister. Ruhig, zielstrebig. Gut organisiert. Hatte die richtigen Werkzeuge und das Material bereit. Fluchte höchstens leise, wenn etwas nicht klappte, begann einfach wieder, machte es besser. So wollte sie eigentlich auch werden als Handwerkerin. Oder als, sie stockt. Ihre Freundin hat den Vorkurs begonnen, an der Gestaltungsschule in Basel. Fragt sie immer wieder, ob sie nicht auch Lust habe, erzählt vom Zeichnen und Malen. Vom Fotografieren, das machen ja alle, aber wie sie davon spricht, wird es zu etwas Besonderem. Sie haben lange über Shedbaotshed gesprochen, und auch gestritten. Die Freundin fand, das sei keine Kunst, und obwohl Helen ja die Handwerkerin war, mit Eltern, die noch nie in einem Museum gewesen waren, für die der Guiness-Tukan aus Gips, der auf ihrem Clubtischchen stand, Kunst war, wollte sie dagegen halten. Immer wenn sie seither in den Weidling stieg, musste sie an diese Verwandlung denken, obwohl ihre Fahrzeuge längst aus Kunstsstoff waren. Sie fand den Gedanken daran irgendwie schön, es war schwer zu erklären. Ein Bild halt. Wenn man so etwas denken und machen konnte, dann war alles möglich, einfach alles. Sogar der Freundin gegenüber nachgeben, ihrer offensichtlichen Werbung, die weit mehr will, als sie nur beruflich auf ihre Seite zu ziehen. Sich outen. Die Eltern würden flippen, wenn sie sagen würde, dass sie den Beruf wechseln möchte, oder schon nur, eine andere Richtung auf die Ausbildung draufpacken. Und dann noch, dass sie auf Frauen steht, so eine ist. Der Vater würde nach dem ersten Schock zu ihr halten, da war sie sicher. Blöd nur, dass alle Machos im Verein und im Betrieb, die immer schon gesagt hatten, dieser Sport und dieser Beruf seien nichts für Mädchen, triumphieren würden. Denn so eine ist für die ja keine richtige Frau.

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