Samstag, 25. April 2020

magische Dinge


Als kleiner Bub waren mir Trophäen wichtig, Dinge, die ich von meinen Abenteuern zurück in die vertraute Umgebung meines Zimmers mitnehmen und, zur Erinnerung oder als Beleg für das Erlebte, aufbewahren musste. Ich inszenierte die Objekte gerne auch zu kleinen Ausstellungen, zum Beispiel auf dem Nachttischchen in einer Ferienpension. Ein solches Bild habe ich noch vor Augen, ich weiss aber nicht mehr, wo und wann das gewesen ist. Dass ich nicht ganz alles auf diese Weise zeigen konnte, daran erinnere ich mich. Der Grund war, dass ich mich bei meiner Trophäenjagd auch zu verbotenen Aktionen hinreissen liess. Auf meinem Nachttisch damals fehlte das kurze Stück einer goldenen Kordel, das ich heimlich in einer Kapelle von einer Fahne abgerissen hatte. In diesem aggressiven Akt drückte sich vielleicht mein stiller Protest gegen die vielen Kirchenbesuche mit meinen Eltern aus, sei es, um bestimmte Kapellen und Kirchen aus kunsthistorischem Interesse zu besichtigen, sei es auch, um die katholische Pflicht des sonntäglichen Messebesuchs noch an den entlegensten Ferienorten zu erfüllen. Die goldene Schnur musste also in meinem Hosensack bleiben und wurde nur im Versteckten angeschaut.

Den Hang, zu sammeln und auszustellen, zeigten beide Eltern. Eine der ersten Sammlungen, die eine eigene Vitrine bekam, betraf kleine Modelle historischer Autos. Das war erstaunlich, denn weder mein Vater noch meine Mutter interessierten sich sonderlich für Autos. Aber diese kleinen, oft sehr zierlichen Nachbildungen von Oldtimern aus der Geschichte des Automobils, Pennen, wie wir sie komischerweise nannten, hatten es ihnen angetan. Ich meine, dass der befreundete Fotograf dabei eine Rolle spielte, der zuerst so eine Sammlung besass, und vielleicht meinen Eltern die ersten Modelle schenkte. Eine Zeit lang hing die Vitrine in unserem Esszimmer, dann, als sich das Interesse, vor allem meiner Mutter, auf neue Gebiete verschob, zog die Ausstellung ins Bubenimmer um. Wir sammelten noch eine Weile weiter, wobei mein Bruder sich dank seiner Kenntnisse gezielt besonders wichtige und berühmte Modelle wünschte und schenken liess. An den Itala des italienischen Fürsten Scipione Borghese kann ich mich gut erinnern, ein Riesenauto, mit dem 1907 das Rennen von Paris nach Peking gewonnen wurde, und das wir in zwei verschiedenen Zuständen seiner damaligen Ausstattung hatten. Irgendwann erlahmte auch unser Interesse an den kleinen Autos, die Sammlung verstaubte, einzelne Modelle gingen kaputt, obwohl die ursprüngliche Abmachung das Spiel mit ihnen ausgeschlossen hatte. Die Vitrine verschwand schliesslich, als unser Zimmer bei meinem Eintritt ins Gymnasium renoviert und für Schularbeiten tauglicher gemacht wurde.

Ab wie vielen ähnlichen Objekten, Dingen mit der gleichen Funktion, aus demselben Material, mit ähnlicher Bedeutung und so weiter, spricht man von einer Sammlung? Ab fünf, ab zehn, ab fünfzig? Nach dem letzten Kriterium habe ich drei Sammlungen. Eine mit Schneckenhäusern, eine mit Messern und eine mit kleinen Köpfen und Figuren. Die ersten beiden, die Schnecken und die Messer, haben mehrere hundert meiner Studentinnen kennengelernt. Ich habe an den Schneckenhäusern gezeigt, wie sich die Regeln des Bauplans analysieren, dann variieren und wieder anwenden lassen. Bei der Beschäftigung mit den Messern ging es um die Prüfung und Bewertung von Artefakten, sowohl auf ihre Funktion hin, als auch in Bezug auf die Ästhetik. Beide Sammlungen haben ihre Wurzeln in meiner Kindheit und Jugend, weshalb sie sich dazu eigneten, ein Gespräch über das Sammeln bei Kindern und Jugendlichen, als ästhetische Praxis, zu eröffnen. Die erste Gruppe von Köpfchen schliesslich habe ich gezielt zusammengetragen, um das Projekt 'têtes de moules' in Gang zu setzen. Später wurde meine Sammlung von den Teilnehmern um ein Vielfaches erweitert und schliesslich in einer grossen Installation ausgestellt. Auch darin waren Objekte enthalten, die ich schon in meiner Kindheit um mich hatte, Figuren und Köpfe, die meine Eltern auf Flohmärkten und in Antiquitätenläden gekauft und im Haus aufgestellt hatten. Man kann sich vorstellen, dass die Räumung dieses Haushalts eine Riesenaufgabe war, welche die zweite Frau meines Vaters fast alleine geschultert hat.


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