Dienstag, 7. April 2020

Kamerun, 1972



Das Flugticket nach Yaoundé und zurück kostete damals viertausend Franken, was heute gut zehntausend wären. Der Flug dorthin ist auch heute noch vergleichsweise teuer und umständlich. 1972, genau in der Zeit, als ich in Kamerun ankam, wurde die Bundesrepublik mittels eines Referendums in einen Einheitsstaat umgewandelt. Das bedeutete, dass der englischsprachige Westen, und damit eine Minderheit der Bevölkerung, von der Mehrheit überstimmt und weitgehend ihrer Autonomie beraubt wurde. Der Konflikt gab damals viel zu reden, schwelte bis vor einigen Jahren und ist heute so eskaliert, dass die Separatisten im Westen ihre Schulen geschlossen haben. Lieber keinen Unterricht für unsere Kinder als auf Französisch. Der Norden wird terrorisiert von Boko Haram und anderen islamistischen Gruppierungen. Herumreisen im Land, wie ich das damals konnte, alleine, als junger weisser Europäer, wäre heute ausgeschlossen. Das Risiko einer Entführung ist in allen Regionen, die ich besucht habe, sehr gross, und das Eidgenössische Amt für auswärtige Angelegenheiten rät von Reisen in den Norden grundsätzlich ab. Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz mit Kamerun beschränkt sich 2019 auf die Unterstützung von dezentralen Projekten, von NGO's und kirchlichen Akteuren. Kameruns Präsident Biya logiert gerne und häufig im Genfer Luxushotel Intercontinental, zusammen mit einer fünfzigköpfigen Entourage. Von dort aus hat er 2018 auch seine Wiederwahl verfolgt, als fünfundachzigjähriger Autokrat, der die Amtszeitbeschränkung abschaffen liess. Es gibt Schätzungen, dass er seit seiner ersten Wahl 1983 mehr als hundert Millionen aus Steuergeldern für seine Privatreisen ausgegeben hat.

Ich liess mir in den knapp drei Monaten in Afrika einen Bart wachsen. Auch meine Haare trug ich wieder ziemlich lang.

Meine Mutter hatte sich diese Reise für mich ausgedacht, sie auch eingefädelt und organisiert. Ihr Bruder lebte und arbeitete mit seiner Familie in der Hauptstadt Kameruns als Koordinator für alle schweizerischen Entwicklungshilfe-Projekte der Schweiz, in einer neu vom Bund geschaffenen Funktion.

Mein Onkel und seine Frau waren jünger als meine Eltern. Sie hatten drei adoptierte Kinder. Die Tante langweilte sich in Yaoundé. Zwar engagierte sie sich in einem kleinen Projekt für einheimische Frauen, es wurmte sie aber, dass diese Arbeit quasi nur ein Anhängsel der Aufgaben ihres Mannes war. Die beiden Buben waren tagsüber im Kindergarten und in der Primarschule, die Kleinste gab nicht übermässig viel zu tun, und für den Haushalt hatte sie mehrere Hausangestellte. Das wirkte auf mich merkwürdig, kolonialistisch. Aber man erklärte mir, von ausländischen Entwicklungshelfern in leitender Position werde erwartet, dass sie innerhalb ihrer Möglichkeiten ein paar Einheimische einstellten und ihnen Arbeit und ein regelmässiges Einkommen garantierten. Einen Nachtwächter zu haben, war in Yaoundé für Ausländer auch schlicht eine Sicherheitsfrage.

Es war vor allem meine Tante, die mich zu eigenen Erkundungen innerhalb Kameruns drängte. Nach einer ersten gemeinsamen Reise ins Grasland im Westen wurde ich allein auf Reisen geschickt, ausgestattet mit einer Liste von Namen und Adressen, von Personen aus dem Netzwerk seines Onkels, bei denen er jeweils um Unterkunft nachfragen konnte.

Vor der ersten Reise hatte ich starkes Reisefieber, die Aussicht, alleine unterwegs zu sein in dem fremden Land, machte mir Angst.

Das war im Norden, in Maroua. Ich war dort sehr freundlich aufgenommen worden von der Frau eines Entwicklungshelfers, der auf Reisen war. Wir mochten uns, ich durfte einige Tage bleiben. Einmal gingen wir gemeinsam auf den Markt, meine Gastgeberin nahm ihre kleine Tochter mit, und die Köchin. Bei dieser sah ich die Silberringe, massiv und schwer geschmiedet, mit einem gestempelten Ornament an der dicksten Stelle. Sie trug sie beide an einem Finger ihrer langgliedrigen, fast bläulich schwarzen Finger. Solche musste ich unbedingt haben. Wir fragten sie aus, wo der Schmuck hergestellt worden sei, und wie man vorgehen müsse, um sie zu erwerben. Ich musste zuerst das nötige Silber auf dem Markt kaufen, der Silberschmied hatte keine eigenen Metallvorräte. Ich war sehr aufgeregt, denn es war genau so, wie ich es aus den Büchern von René Gardi kannte. Wir kauften acht silberne Maria-Theresien-Taler, je drei für einen Ring, den vierten als Lohn für die Arbeit. Damit gingen wir zum Silberschmied, der in einer kleinen Handwerkerhütte am Rande der Stadt wohnte. Als wir in die Hütte eintraten, war ich elektrisiert. Ich hatte schon so viele Bilder verschlungen von afrikanischen Handwerkern und ihren Werkstätten, und nun war ich mittendrin. Der Boden war aus sauber gerechtem, grobem Sand, man musste sich die Schuhe ausziehen und vor dem Eingang abstellen. Der Silberschmied, ein auf einige wenige traditionelle Schmuckstücke spezialisierter Meister, sass schon vor seiner Esse, einer Grube mit Holzkohleglut, zu der zwei lange Wülste aus Lehm führten. Sie bildeten ein schmales V und endeten in zwei topfartigen Gefässen, die je mit einem Ledersack bedeckt waren. Am oberen, zusammengeschnürten Ende der Säcke waren zwei Schlägel aus Hartholz befestigt. Die Blasebälge. Sie wurden bedient vom jüngsten Sohn des Schmieds, der schon an seinem Platz sass, wie ein Trommler hinter seinen Instrumenten, und auf seinen Einsatz wartete. Der Vater nahm die Taler entgegen, und es zeigte sich, dass er fast blind war. Alle Werkzeuge hatte er sorgfältig um sich in den Sand gesteckt, und alle kamen während der Arbeit sofort wieder an ihren Platz, wenn sie nicht gebraucht wurden. Er legte sechs der Taler nacheinander auf einen quadratischen Stiftamboss, der ebenfalls im Sandboden steckte, und teilte sie mit Meissel und Hammer in je vier Teile. Die Hälfte des Metalls kam anschliessend in einen Schmelztiegel, den er in die Glut stellte und mit glühenden Kohlen bedeckte. Dann kam der Bub an die Reihe. Er begann, die Schlägel in rasantem Rhythmus auf die Säcke zu schlagen, der Luftstrom aus den tönernen Pfeifen fauchte in die Glut und weckte sie auf. Schon nach kurzer Zeit gab der Meister ein Signal, und der Bub reduzierte seine Bewegungen zu einem lockeren Tanz der Arme und Schultern. Der Tiegel wurde ausgegraben, mit der Zange hochgehoben, dann geschwenkt. In einem grossen Holzstück, dessen Funktion ich bis dahin nicht begriffen hatte, war eine kleine, längliche Vertiefung angebracht, die aussah, als sei sie mit Wasser oder Öl angefeuchtet. Die Mulde wurde nun mit dem flüssigen Silber gefüllt, in einer einzigen, präzisen Bewegung des Tiegels. Einfach angesetzt und ausgeleert. Wie machst du das, wenn du fast nichts siehst? Als das Silber eine runzlige Haut gebildet hatte, dann grau, dann schwarz geworden war, wurde der kleine Barren mit der Zange herausgelöst und in einer Kalebassenschale abgeschreckt. Dann kam die Schmiedearbeit, mit zwei verschieden grossen Hämmern, in einer Schnelligkeit und Präzision, die mich sprachlos machte. Der Barren musste zuerst zu einem länglichen Doppelkegel geschmiedet werden. Der Meister hielt das Werkstück mit der Zange in der linken Hand und drehte es unmittelbar vor dem nächsten Schlag des Hammers in der Rechten, die so regelmässig zuschlug wie eine Maschine. Zwischendurch legte er das Stück auf den Amboss, um es zu drehen und neu zu packen. Als ihm die Form richtig erschien, wurde der Rohling in ein Säurebad gelegt, das der Bub in der Zwischenzeit angesetzt hatte. In eine Emailschale hatte er zwei halbierte Limonen gegeben, dazu ein paar Brocken Steinsalz, hatte Wasser aus einem Krug dazu geschüttet und die Schale in die Glut gestellt. Das Werkstück lag nun in der kochenden Säure und wurde weiss gesotten. Als ihm die Farbe passte, nahm es der Schmied mit der Zange heraus und legte es in die Glut. Der Bub nahm wieder seinen schnellen Rhythmus auf.

Am erstaunlichsten war für mich, wie er die Rundung der Ringe hinbekommen hat, so perfekt, dass die äussere Silhouette des Rings einen Kreis bildet, darin, exzentrisch versetzt, die Öffnung für den Finger ebenfalls einen Kreis umschliesst. Dabei ist der Querschnitt der dicksten Stelle mehr als zehnmal grösser als derjenige der dünnsten. Wie kann man das biegen? Mit ein paar wuchtigen Schlägen der Finne seines grossen Hammers hat er das gemacht, den widerspenstig molligen Leib des Doppelkegels in die Krümmung gezwungen. Dann jedem Abschnitt die genau abgestimmte Dosierung von Schlägen, in Anzahl und Kraft, zukommen lassen. Zum Schluss wollen die dünnen Enden, schon eingekrümmt, dem Hammer keinen Platz mehr zwischen sich lassen, die letzten Schläge folgen von aussen, auf den schon fast fertigen Ring, und schliessen ihn so fest, dass man kein Papier mehr dazwischen bringt. Jetzt bin ich noch gespannt darauf, wie er das Ornament anbringen wird. Mit zwei Punzen, die auf ihrer Unterseite so bearbeitet sind, dass sie bei einem Schlag einen Kreis stempeln. Das Werkzeug für den kleineren Kreis ist allerdings vor Kurzem gebrochen, und dem Meister blieb nur der vorderste Stummel. Diesen muss er mit der Zange halten, so kurz ist er, und bei jedem Schlag saust er davon, irgendwohin in den Sand. Der Bub kennt das schon, und bringt ihn zuverlässig zurück, sechsmal insgesamt. Einmal muss er länger suchen. So, und das Ganze jetzt natürlich noch einmal, es sind ja zwei Ringe. Aber ihr wisst jetzt, wie es geht.

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