Mittwoch, 23. Februar 2022

Mustererkennung (Zolligeschichten 4)

Es ist nicht verwunderlich, dass der Hl. Algorithmus meine Lust auf Tiergeschichten herausgefunden hat. Die Maschine so zu füttern, dass man das bekommt, was man will, ist allerdings anstrengend. Wenn mir danach ist, wische ich mit trotziger Ausdauer Werbung weg. Auf dem Bildchen-Austauschmarkt, der alles auf sein pseudonostalgisches Polaroidformat zurechtstutzt, muss ich auch noch mit einem zweiten Fingertupfer begründen, weshalb ich die Reklame "verbergen" möchte. Da bin ich stur und einfallslos, erkläre jede Werbung mit grimmiger Genugtuung für "irrelevant". Wenn es doch eine Einstellung gäbe, die mich ein für alle Mal befreien würde von diesem Mist! Aber sei's drum. Auf FB muss ich meistens nur noch einmal den Finger bewegen, um die Werbung zum Verschwinden zu bringen.
Um wieder zu den Tiergeschichten zurückzukehren, denn da wird es interessant: Welches Muster erkennt die Maschine wohl in meinen Bewegungen? Was ich nicht sehen will, sind Haustiere, die von ihren Besitzern vorgeführt werden, besonders wenn es sich dabei um durch Züchtung erzielte Missgeburten handelt. Katzen mit eingedrückter Nase und Stummelbeinchen zum Bespiel. Oder um ausgewachsene weisse Tiger in biederen Wohnungen, in Vorgärten und Swimmingpools. Mittlerweile bekomme ich fast nichts mehr dieser Art zu sehen, obwohl ich nicht generell Filme und Bilder wegwische, auf denen die Tiere mit Menschen zusammen oder in von Menschen gemachten Umgebungen zu sehen sind. Das wäre zugegebenermassen ein einfach erkennbares Muster.
Ich betrachte aber gerne Szenen wie diese: Im Gehege eines Zoos ist ein Wärter mit zwei Jungtieren beschäftigt, einem Zebra und einem Nashorn. Der kleine Dickhäuter wird, vermutlich zum Schutz gegen Sonne und Insekten, vielleicht auch rein zu seinem Vergnügen, mit Schlamm aus einem Eimer eingeschmiert. Das Tier hält dabei nicht nur geduldig still, es stupst mit der Nase die schlammige Hand des Betreuers an und verlangt nach mehr. Witzig und rührend ist das Verhalten des Zebras, das offensichtlich eifersüchtig reagiert auf die exklusive Zuwendung. Der Wärter hat Erbarmen, und auch der Hals des gestreiften Pferdchens bekommt eine Ladung ab, obwohl das später zu Mehrarbeit beim Fell Striegeln führen wird. Daran, dass der Algorithmus meine Vorliebe für spielende Tiere und für tierische Begegnungen über die Artgrenze hinweg erkannt hat, zweifle ich nicht. Ab und zu führt das zu Begegnungen mit Bildern und kurzen Videosequenzen, die mich über längere Zeit gedanklich beschäftigen.
Eine junge Katze, die ganz für sich alleine eine Kinderrutschbahn benützt, zum Beispiel. Geduckt, zum Sprung bereit, wartet sie am Fuss der Rutsche, rast plötzlich los, die glitschige Plastikrampe hoch, lässt sich auf zwei Dritteln der Höhe – Platsch! – auf die Seite fallen und rutscht, alle Viere von sich gestreckt, wieder hinunter. Das wiederholt sie noch zweimal. Zwischendurch verliert die Kamera den Fokus und man kann erkennen, dass der oder die Filmende ziemlich weit weg gestanden haben muss, dass es sich also eher nicht um eine Dressurnummer handelt. Und man wäre gerne dabei gewesen, als das Kätzchen zum ersten Mal entdeckt hat, vielleicht noch mehr erschrocken als lustvoll angeregt, was eine Rutsche ist. Eine andere Videosequenz, über deren zeitliche Begrenztheit hinaus ich kürzlich nachdenken musste, ist die von einer Begegnung zwischen einem halbwüchsigen Löwenmännchen und einem Gnukälblein, das völlig naiv und nichtsahnend vor seiner Nase herumtanzt. Verspielte Hornstösse und Angriffskapriolen vollführt, dazwischen an der Schnauze des Raubtiers schnüffelt, das da riesig vor ihm steht. Es verhält sich dabei so weit ausserhalb dessen, was sich der junge Löwe unter einem essbaren Beutetier vorstellen mag, dass dieser völlig konfus wird angesichts dieses quecksilbrigen Lebewesens. Er unternimmt nicht den geringsten Versuch, zuzubeissen. Schaut sich zwischendurch suchend um. Als Mensch an seiner Stelle würde man rufen: Kann mir mal jemand sagen, was das soll? Und was, bitte schön, in dieser Situation von mir erwartet wird?
Mir auszumalen, wie die Situation geendet hat, bereitet mir produktive Mühe.