Freitag, 21. August 2020

magische Dinge_2


Ich würde mich nicht als Schuhfetischisten bezeichnen, aber Schuhe waren und sind für mich immer etwas Spezielles. Ich habe an anderer Stelle von den Lackschühchen geschrieben, die mein Bruder und ich als kleine Knirpse für die Hochzeit einer Tante tragen durften. Obwohl mir die Füsse darin nach kurzer Zeit weh taten, musste ich doch immer nach unten schauen und die Glanzlichter auf den Kappen bewundern. Ähnlich erging es mir mit den poppigen Schuhen, die ich mir 1968 in London kaufen durfte, in dem Sommer, als Yellow Submarine Premiere hatte.

Sportschuhe waren nochmal etwas anderes für mich. Im unteren Gymnasium war wieder, wie in der Primarschule schon, Fussball ungeheuer wichtig für einige der tonangebenden Klassenkameraden. Die hatten Fussballschuhe mit Stollen, und waren für mich, der wie die meisten, die mit dem Ball nicht viel anfangen konnten, in der Verteidigung eingesetzt wurde, meist schon nach ein paar Schritten und Haken auf und davon. Ich rutschte mit meinen Hallenturnschuhen oft aus und manchmal haute es mich auch ohne Berührung des Balls oder Gegners auf den Rasen. Trotzdem schoss ich einmal in einem Match gegen eine Parallelklasse ein entscheidendes Tor. Eigentlich wollte ich einfach den taktischen Vorgaben meiner Chefs folgen und den Ball nach vorne hauen, wenn du ihn hast, einfach weg, weg, weg! Diesmal schien mein Kick mit der Fussspitze, etwas anderes konnte ich noch nicht, dem Ball Zauberkräfte zu verleihen. Niemand vermochte ihn mehr von seiner Bahn in Richtung Tor abzubringen, er schlitterte zwischen Beinen durch und an den geschicktesten Technikern vorbei, bis ihm schliesslich sogar der gegnerische Goalie mit einer unfreiwilligen Pirouette Platz machte. Dieses Tor liess mich dazugehören, ich wurde auf einmal in den Überlegungen zu Mannschaftsaufstellung in Betracht gezogen und auf verschiedenen Positionen auf die Probe gestellt. Mit dem wachsenden Selbstvertrauen kam auch die Übung, mit weiteren sportlichen Betätigungen die Kraft dazu, sodass ich bald mit dem rechten und dem linken Fuss hohe Flankenbälle schlagen konnte. Das war wichtig, denn damit half ich den Stars, sich in Szene zu setzen mit Kopfbällen und Direktabnahmen, auch wenn es meistens bei Versuchen blieb. Der Dank für eine schöne Flanke bekam ich sogar eher und herzlicher, wenn der Stürmer scheiterte. In dieser Zeit kaufte ich mir zum ersten und einzigen Mal Fussballschuhe. Zwar durfte man diese längst nicht immer anziehen in den Matches, die wir im Sportunterricht oder in der Freizeit spielten, denn wir wurden älter und damit kräftiger und schwerer. Die Mehrheit spielte noch immer mit normalen Turnschuhen, und praktisch niemand hatte Schienbeinschoner, so dass die wenigen Stollenschuhe gefürchtet waren und manchmal eben aus Gründen der Fairness ausgeschlossen wurden. Aber wenn ich sie trug, genoss ich die direkte Verbindung zum Boden, die Möglichkeit, sehr schnell durchzustarten und enge Kurven und Zickzacklinien laufen zu können. Es waren meine Schuhe, die ich mir gekauft hatte, und auch sorgfältig putzte und pflegte. Und sie waren das eindeutige Zeichen dafür, dass ich nun auch in diesem Teil des Sports zu den anderen dazu gehörte. Auch die Hallenschuhe kaufte ich mir nun selber, das Modell Rom von Addidas, weil ich begann, Volleyball zu spielen, und dieser Schuh dabei besonders populär war. Oder das Modell Gazelle, das aus rot gefärbtem Wildleder gemacht war, und ziemlich ausblutete, wenn es feucht wurde. Als es in meiner Umgebung hiess, die Schuhe von Künzli gäben einen besseren Halt, kaufte ich mir ein solches Paar. Und als ich sie zum ersten Mal im Sportunterricht trug, erzielte ich damit ebenfalls ein legendäres Tor in einem Fussballspiel. Ich zog auf der linken Seite nach vorn, konnte einen Gegenspieler umspielen und setzte dann zu einer hohen Flanke auf einen Mitspieler an, der in der Mitte den Arm hob. Das Bild habe ich noch immer vor Augen, der Ball stieg und stieg, ich dachte schon, ich hätte es vermasselt, da begann er sich zu senken, hatte aber von meinem Vorwärtsstürmen noch so viel Fahrt in die Tiefe, dass er in der entfernten oberen Torecke landete. Ein Meisterschuss, mit dem neuen Schuh. Das sollte aber eine Flanke sein und keine Torschuss, oder?, fragte der Klassenkamerad, der in der Mitte vergebens gerannt war. Ich zuckte mit den Schultern.

Beim Rudern ist die Geschichte mit den Schuhen eine eigene und eigentümliche Sache. Bis heute, wo man in manchen Klubs damit begonnen hat, die Boote mit Klicksystemen auszustatten, so dass jeder Ruderer seine persönlichen Schuhe im Boot befestigen kann, waren sie in den Ruderbooten fest verschraubt. Man war daran gewöhnt, und die meisten sind es noch immer, dass man in Schuhe schlüpft, in denen immer wieder andere Füsse stecken, Hygiene hin oder her. In meiner ersten Saison als Junior hatte unser Boot noch gar keine eigentlichen Schuhe auf den Stemmbrettern, sondern lediglich grobe, schnürbare Lederlaschen für den Vorderfuss, sowie zwei halbrunde Schalen aus Aluminium für die Fersen, die sich, wenn man sich auf der Rollschiene ganz nach vorne bewegte, bei jedem Schlag heraushoben und beim Durchdrücken der Beine wieder hineinsenkten. Man musste dicke Socken tragen beim Rudern, und deren Fersenteile wurden immer schwarz, und bald löcherig, weil das Aluminium Risse bekam, welche die Socke durchscheuerten. Für den Weg zum Bootssteg und wieder zurück waren in unserem Club damals Holzschuhe Mode, entweder die leichten, niederländischen, die ganz aus Lindenholz gefräst waren, oder dann die Schweizer Holzböden, mit Lederriemen. Irgendwann setzte sich aber die Einsicht durch, dass diese Holzdinger gefährlich waren für Ruderer und Boote, weil damit eine ganze Mannschaft ins Rutschen geraten konnte beim Tragen des Bootes auf den nassen Stegen. Nach der zweiten, erfolgreichen Saison als Junioren bekamen wir ein neues Boot, das nur wir benützen durften. Es war ein Vierer mit Steuermann, ein ziemlich schweres Gerät, was uns aber damals nicht störte. Es war mit dem neuen Schuhsystem ausgerüstet, das sich mit nur wenigen Anpassungen bis heute bewährt hat. Zuerst wurden einfach umgebaute Sprintschuhe verwendet, die an den Fussballen auf den Stemmbrettern festgeschraubt waren und die Abrollbewegung des Fusses erlaubten. Man schnürte die Schuhe mit Bändeln zu, und es gab noch keine Leinen, welche den Schuh bei einem erzwungenen Ausstieg, bei einer Kenterung, so niedergehalten hätten, dass das Herausschlüpfen einfach möglich gewesen wäre. Heute ist dieser Mangel aus Sicherheitsgründen behoben worden, alle Schuhe sind speziell für den Rudersport gemacht, sie haben Klettverschlüsse, die miteinander verbunden sind und sich mit einem Handgriff lösen lassen. Die vorschriftsmässige Ausstattung damit sowie mit den Leinen, welch die Schuhfersen im Notfall niederhalten, wird bei jedem Boot und vor jedem einzelnen Rennen von den Organisatoren überprüft.

Heute kommen die Ruderer mit Joggingschuhen oder Badelatschen auf den Bootssteg. Bei Regatten sind die Stege übersäht mit einem Gewühl aus Schuhen, Latschen, Trinkflaschen und Rudern, und es ist nicht einfach, seine Schuhe wieder zu finden. Da man meistens auch noch an einem anderen Steg landen muss als an dem, von dem man losfuhr, ist es besonders schwierig und man ist froh, wenn man Helfer hat, welche die Schuhe gleich einsammeln und zum Landesteg bringen. Und wenn man seine Schuhe irgendwie markiert hat. Ich habe auf meine die chinesischen Zeichen für Yeye aufgesprayt, Grossvater. Daran erkenne ich sie von Weitem.

Sonntag, 2. August 2020

Am Beschde, Si schmeissets weg!


Wir sagen manchmal, halb im Scherz, wir könnten nie umziehen, weil wir so viele Dinge in unserem Haus haben. Lange schon wollten wir wieder einmal mit einer ausgesuchten Ladung auf den Flohmarkt gehen, um die Entsorgung auf dem Werkhof bei den Sachen zu vermeiden, die wir dafür zu schade finden. Und das sind einige. Zum Beispiel ein letztes, halbrundes Eichenfenster unseres Hauses, das wir vor vierzig Jahren mühsam abgelaugt und geölt hatten, und bei dem mein Vater die Gläser herausgenommen und frisch verkittet hatte. Irgendwann wurden uns die Umstände mit dem Putzen der kleinteiligen Fenster, mit dem Ein- und Aushängen der Vorfenster zu viel. Auch war die Isolation gegenüber Temperaturen und Lärm von aussen schwach, so dass wir im ganzen Haus moderne Fenster mit doppelter Verglasung einbauen liessen. Die alten eichenen, fein profilierten Stücke nach ihrem Ausbau in eine Mulde zu werfen, kam für uns nicht infrage, und wir waren sehr froh, als sich ein Spezialist für historisches Baumaterial dafür interessierte und auch gleich alles mitnahm. Bis auf dieses eine Fenster, das wir aus Sentimentalität behielten, ohne einen Verwendungszweck dafür bereit zu haben. So stand es lange im Keller herum, musste immer wieder seinen Standort wechseln, und wurde schliesslich bei einer Entsorgungsfuhr mitgenommen. Es kehrte aber vom Werkhof wieder nach Hause zurück, weil der zuständige Mitarbeiter dort sich weigerte, das Fenster wegzuwerfen. Wir sollten es verkaufen oder verschenken, dafür gebe es genügend Interessenten. Nun, da wir lange genug gezögert und gewartet haben, kommt der Flohmarkt zu uns, als Quartiersveranstaltung, zu der alle, die möchten, ihren Vorgarten zum Verkaufsstand machen können. Wir werden das Fenster anbieten, natürlich für einen symbolischen Preis, denn wir möchten es ja loswerden ohne schlechtes Gewissen.

Nun ist der ganze Keller verstellt mit Schachteln, in denen wir die Objekte für den Markt vorbereiten. Kinderspielsachen zum Beispiel. Gerade bei denen fällt die Entscheidung, behalten oder wegschmeissen, besonders schwer, da wir ja Enkel haben. Aber von gewissen Spielsachen gibt es mehr als genug, oder sie wurden von den Buben mit Desinteresse behandelt, weshalb nun die Aussortierung nicht schwer fällt. Wie verfahren mit den von meinem Vater geschnitzten Holztieren? Er war so produktiv, dass er uns unzählige hinterliess, mit durchaus schwankender handwerklicher und gestalterischer Qualität. Ich habe mir solche Urteile schon lange erlaubt, da ich ab und zu Tiere reparieren musste, wenn deren Beine, Hörner, Ohren oder Rüssel beim Spiel der Kinder abbrachen. Manchmal war eine Reparatur zu aufwändig, weil mein Vater die Richtung der Holzmaserung missachtet hatte, oder weil es von der gleichen Tierart viel schönere Exemplare gab. In den Schachteln im Keller warten nun deshalb nicht die besten Werke meines Vaters auf einen Käufer. Oder sollen wir sie gleich verschenken, wenn sich jemand dafür interessiert? Soll man, darf man das an einem Flohmarkt, oder untergräbt man durch Gratisangebote den Sinn der Sache? Und was ist ein angemessener Preis für Dinge, die jemand in stunden- oder gar tagelanger Handarbeit geschaffen hat? Das Kinderbettchen aus Kirschenholz zum Beispiel, das nun zwei Generationen gedient hat, unseren Söhnen und allen drei Enkelkindern? Für uns besteht seine Patina aus Schichten von Erinnerungen, und ich denke nicht daran, die Pfosten und Docken abzuschleifen und neu zu ölen vor dem Verkauf. Aber gruselt es einer möglichen Interessentin vor den Spuren des Gebrauchs? Oder besuchen Menschen mit derartigen Empfindlichkeiten schon gar keinen Flohmarkt? Wir haben das Bettchen fotografiert und dann auseinandergenommen, so dass es leicht transportiert werden kann. Auf einem Handzettel wird es mit den Fotos und wenig Text vorgestellt. Lässt es sich von jedem beliebigen Käufer so leicht wieder zusammensetzen wie ein Möbel von Ikea? Oder ist das schon zu schwer? Wir werden sehen. Dass ich das Holz für das Bettchen damals gekauft und mit dem Bau begonnen hatte, als wir nach einer Fast-Fehlgeburt des ersten Kindes eine gewisse Sicherheit und Zuversicht verspürten, werde ich niemandem erzählen, der das Bettchen haben möchte. Es war ein magisches Objekt damals, aber nur für uns.

Ich hatte in einem früheren Text über die Unsicherheit beim Erinnern geschrieben, über die verstörende Wirkung eines grundsätzlichen Einwandes anderer, wenn man nach ihrer Meinung die Dinge verdreht und verschiebt. Ich hatte dabei eine Auseinandersetzung mit meiner Frau im Sinn, die mir im Detail erst hinterher wieder klarer ins Bewusstsein trat. Es ging um einen Witz, von dem ich behauptete, er sei von RW erzählt worden, einem lieben Nachbarn unseres Elternhauses. Physikprofessor aus dem Badischen mit wunderbar trockenem Humor. Da der Witz von einem badischen Handwerker handelt, und weil er in seiner Qualität gut zu ihm passte, war ich ganz sicher, dass er ihn erzählt hatte, ja, ich meinte, seine Stimme und seinen Dialekt zu hören, wenn der Alte in der kleinen Geschichte sprach. Meine Frau aber entgegnete, es sei Herbster gewesen, der die Anekdote erzählt habe. Der war selber ein Handwerker, nämlich Giesser aus Stetten bei Lörrach, der nach seiner Pensionierung in derselben Freizeiteinrichtung mithalf, in der auch meine Frau eine Zeit lang Goldschmiedekurse gab. Als ich vor kurzem die Frau des inzwischen verstorbenen Nachbars traf, erschien es mir plötzlich klar, weshalb ich ihn als Urheber des Witzes in meine Erinnerung eingebaut hatte. Er fand ihn damals unglaublich lustig, es schüttelte ihn vor Lachen und er wiederholte die drei Stufen sowie den Schluss der Geschichte immer wieder. Hier ist sie also.

Eine Frau im Badischen findet beim Aufräumen im Keller eine alte, kupferne Bettflasche. Da sie vor dem Einschlafen oft kalte Füsse hat, möchte sie die Flasche, die sie im Übrigen schöner findet als die modernen Gummidinger, wieder aktivieren. Grosse Enttäuschung, als sie sie zum ersten Mal mit Wasser füllt. Die Flasche leckt an mehreren Stellen aus den verzinnten Nähten. Sie bringt sie zu einem alten Handwerker, einem Schlosser oder Schmied, von dem sie meint, dass er sich mit Metallsachen auskennt. Er begutachtet die Flasche von allen Seiten, stellt sie vor sich auf die Werkbank, kratzt sich am Kopf, zündet die Pfeife an, nimmt das Ding wieder in die Hand. Sagt endlich etwas. Me könnts löte. Dann wieder lange nichts, wiegt den Kopf hin und her, dreht das Kupfergefäss in alle Richtungen. Dann das erste Urteil. Aber des hält net. Erneut langes Abwägen, hin und her. Dann, mit Betonung. Me könnts HART löte. Nach einer längeren Pause dann, aber des hält au net! Schliesslich, wir kennen ihn nun, nach wiederum langer Betrachtung und stummem Zwiegespräch mit sich selber. Me könnts SCHWEISSE. Nach einer kurzen Pause das Fazit. Aber denn ischs he (hin)! Am Beschte, Si schmeissets weg!