Sonntag, 2. August 2020

Am Beschde, Si schmeissets weg!


Wir sagen manchmal, halb im Scherz, wir könnten nie umziehen, weil wir so viele Dinge in unserem Haus haben. Lange schon wollten wir wieder einmal mit einer ausgesuchten Ladung auf den Flohmarkt gehen, um die Entsorgung auf dem Werkhof bei den Sachen zu vermeiden, die wir dafür zu schade finden. Und das sind einige. Zum Beispiel ein letztes, halbrundes Eichenfenster unseres Hauses, das wir vor vierzig Jahren mühsam abgelaugt und geölt hatten, und bei dem mein Vater die Gläser herausgenommen und frisch verkittet hatte. Irgendwann wurden uns die Umstände mit dem Putzen der kleinteiligen Fenster, mit dem Ein- und Aushängen der Vorfenster zu viel. Auch war die Isolation gegenüber Temperaturen und Lärm von aussen schwach, so dass wir im ganzen Haus moderne Fenster mit doppelter Verglasung einbauen liessen. Die alten eichenen, fein profilierten Stücke nach ihrem Ausbau in eine Mulde zu werfen, kam für uns nicht infrage, und wir waren sehr froh, als sich ein Spezialist für historisches Baumaterial dafür interessierte und auch gleich alles mitnahm. Bis auf dieses eine Fenster, das wir aus Sentimentalität behielten, ohne einen Verwendungszweck dafür bereit zu haben. So stand es lange im Keller herum, musste immer wieder seinen Standort wechseln, und wurde schliesslich bei einer Entsorgungsfuhr mitgenommen. Es kehrte aber vom Werkhof wieder nach Hause zurück, weil der zuständige Mitarbeiter dort sich weigerte, das Fenster wegzuwerfen. Wir sollten es verkaufen oder verschenken, dafür gebe es genügend Interessenten. Nun, da wir lange genug gezögert und gewartet haben, kommt der Flohmarkt zu uns, als Quartiersveranstaltung, zu der alle, die möchten, ihren Vorgarten zum Verkaufsstand machen können. Wir werden das Fenster anbieten, natürlich für einen symbolischen Preis, denn wir möchten es ja loswerden ohne schlechtes Gewissen.

Nun ist der ganze Keller verstellt mit Schachteln, in denen wir die Objekte für den Markt vorbereiten. Kinderspielsachen zum Beispiel. Gerade bei denen fällt die Entscheidung, behalten oder wegschmeissen, besonders schwer, da wir ja Enkel haben. Aber von gewissen Spielsachen gibt es mehr als genug, oder sie wurden von den Buben mit Desinteresse behandelt, weshalb nun die Aussortierung nicht schwer fällt. Wie verfahren mit den von meinem Vater geschnitzten Holztieren? Er war so produktiv, dass er uns unzählige hinterliess, mit durchaus schwankender handwerklicher und gestalterischer Qualität. Ich habe mir solche Urteile schon lange erlaubt, da ich ab und zu Tiere reparieren musste, wenn deren Beine, Hörner, Ohren oder Rüssel beim Spiel der Kinder abbrachen. Manchmal war eine Reparatur zu aufwändig, weil mein Vater die Richtung der Holzmaserung missachtet hatte, oder weil es von der gleichen Tierart viel schönere Exemplare gab. In den Schachteln im Keller warten nun deshalb nicht die besten Werke meines Vaters auf einen Käufer. Oder sollen wir sie gleich verschenken, wenn sich jemand dafür interessiert? Soll man, darf man das an einem Flohmarkt, oder untergräbt man durch Gratisangebote den Sinn der Sache? Und was ist ein angemessener Preis für Dinge, die jemand in stunden- oder gar tagelanger Handarbeit geschaffen hat? Das Kinderbettchen aus Kirschenholz zum Beispiel, das nun zwei Generationen gedient hat, unseren Söhnen und allen drei Enkelkindern? Für uns besteht seine Patina aus Schichten von Erinnerungen, und ich denke nicht daran, die Pfosten und Docken abzuschleifen und neu zu ölen vor dem Verkauf. Aber gruselt es einer möglichen Interessentin vor den Spuren des Gebrauchs? Oder besuchen Menschen mit derartigen Empfindlichkeiten schon gar keinen Flohmarkt? Wir haben das Bettchen fotografiert und dann auseinandergenommen, so dass es leicht transportiert werden kann. Auf einem Handzettel wird es mit den Fotos und wenig Text vorgestellt. Lässt es sich von jedem beliebigen Käufer so leicht wieder zusammensetzen wie ein Möbel von Ikea? Oder ist das schon zu schwer? Wir werden sehen. Dass ich das Holz für das Bettchen damals gekauft und mit dem Bau begonnen hatte, als wir nach einer Fast-Fehlgeburt des ersten Kindes eine gewisse Sicherheit und Zuversicht verspürten, werde ich niemandem erzählen, der das Bettchen haben möchte. Es war ein magisches Objekt damals, aber nur für uns.

Ich hatte in einem früheren Text über die Unsicherheit beim Erinnern geschrieben, über die verstörende Wirkung eines grundsätzlichen Einwandes anderer, wenn man nach ihrer Meinung die Dinge verdreht und verschiebt. Ich hatte dabei eine Auseinandersetzung mit meiner Frau im Sinn, die mir im Detail erst hinterher wieder klarer ins Bewusstsein trat. Es ging um einen Witz, von dem ich behauptete, er sei von RW erzählt worden, einem lieben Nachbarn unseres Elternhauses. Physikprofessor aus dem Badischen mit wunderbar trockenem Humor. Da der Witz von einem badischen Handwerker handelt, und weil er in seiner Qualität gut zu ihm passte, war ich ganz sicher, dass er ihn erzählt hatte, ja, ich meinte, seine Stimme und seinen Dialekt zu hören, wenn der Alte in der kleinen Geschichte sprach. Meine Frau aber entgegnete, es sei Herbster gewesen, der die Anekdote erzählt habe. Der war selber ein Handwerker, nämlich Giesser aus Stetten bei Lörrach, der nach seiner Pensionierung in derselben Freizeiteinrichtung mithalf, in der auch meine Frau eine Zeit lang Goldschmiedekurse gab. Als ich vor kurzem die Frau des inzwischen verstorbenen Nachbars traf, erschien es mir plötzlich klar, weshalb ich ihn als Urheber des Witzes in meine Erinnerung eingebaut hatte. Er fand ihn damals unglaublich lustig, es schüttelte ihn vor Lachen und er wiederholte die drei Stufen sowie den Schluss der Geschichte immer wieder. Hier ist sie also.

Eine Frau im Badischen findet beim Aufräumen im Keller eine alte, kupferne Bettflasche. Da sie vor dem Einschlafen oft kalte Füsse hat, möchte sie die Flasche, die sie im Übrigen schöner findet als die modernen Gummidinger, wieder aktivieren. Grosse Enttäuschung, als sie sie zum ersten Mal mit Wasser füllt. Die Flasche leckt an mehreren Stellen aus den verzinnten Nähten. Sie bringt sie zu einem alten Handwerker, einem Schlosser oder Schmied, von dem sie meint, dass er sich mit Metallsachen auskennt. Er begutachtet die Flasche von allen Seiten, stellt sie vor sich auf die Werkbank, kratzt sich am Kopf, zündet die Pfeife an, nimmt das Ding wieder in die Hand. Sagt endlich etwas. Me könnts löte. Dann wieder lange nichts, wiegt den Kopf hin und her, dreht das Kupfergefäss in alle Richtungen. Dann das erste Urteil. Aber des hält net. Erneut langes Abwägen, hin und her. Dann, mit Betonung. Me könnts HART löte. Nach einer längeren Pause dann, aber des hält au net! Schliesslich, wir kennen ihn nun, nach wiederum langer Betrachtung und stummem Zwiegespräch mit sich selber. Me könnts SCHWEISSE. Nach einer kurzen Pause das Fazit. Aber denn ischs he (hin)! Am Beschte, Si schmeissets weg!

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