Montag, 30. März 2020

kaufen und haben


Ich hatte einen weissen Teddybären, mein Bruder einen braunen. Ich glaube nicht, dass ich meinen als Eisbären ansah, er war einfach weiss. Mir war bewusst, dass es bei der Schokolade umgekehrt war. Mein Bruder liebte weisse Schokolade, ich nicht, also bekam er die weissen und ich die braunen Osterhasen. Bären und Hasen waren Tiere, die man uns schenkte, die also uns gehörten. Aber ich musste lernen, dass ich in ganz verschiedener Weise über diese mir lieben und wichtigen Objekte verfügte. Der Teddybär war dauerhaft mein, niemand durfte ihn mir wegnehmen. Ich konnte ihn nachts im Bett haben und mit ihm kuscheln. Er roch gut, was aber meine Mutter nicht dran hinderte, ihn einmal zu waschen. Danach fühlte er sich anders an, viel struppiger, beinahe stachelig, und sein Duft war so fremd, dass er eine Zeit lang nicht mehr bei mir im Bett schlafen durfte. Es dauerte lange und kostete Überwindung, bis er wieder ganz mein war. Ganz anders war es bei den Schoggihasen. Die bekam man einmal im Jahr zu Ostern. Die Vorfreude war gross und aufregend, weil man zwar wusste, dass man wieder einen bekommen würde, aber niemals die genaue Form und die Grösse voraussehen konnte. Sobald man den Hasen hatte, zerrte es einen hin und her. Wann werde ich zum ersten Mal hineinbeissen? Wo soll ich beginnen? Mit dem Kopf und den Ohren, an denen am meisten dran ist, weil sie oft gefüllt sind, oder gerade diese Teile, die das Hasenförmige ausmachen, bis zuletzt aufsparen? So oder so, der Hase war dem baldigen Verschwinden preisgegeben, was seinem Besitz eine bittere Note beifügte, da konnte die Schokolade noch so süss duften. Es kam dazu, dass die Hasen der Geschwister vielleicht länger hielten. Vor allem die Schwester war eine Meisterin im Sparen und konnte noch Wochen nach Ostern Aufbewahrtes aus ihrem Nestlein zaubern, das sie dann genüsslich vor unseren Augen verzehrte. Spienzle sagten wir dem, und eigentlich galt es als unfair. Natürlich schauten wir auch genau darauf, wie gross die Hasen der andern waren. Gewisse Grössenunterschiede, entsprechend der Abstufung unserer Alter, fanden wir natürlich und in Ordnung. Anders als beim Teddybären, der als Geschenk einfach einmal da war, wurde einem bei den Schokoladeosterhasen bewusst, dass ein Kaufentscheid der Grossen vorauszusetzen war. Man sah erstens die zu Pyramiden aufgetürmten, in Zellophan eingepackten Hasen in den Selbstbedienungsläden, wo sie zum Missfallen der Eltern schon nach der Fasnacht, und überhaupt immer früher, auftauchten. Zweitens stellten wir fest, dass es nur uns Kinder freute, wie die Hasen Jahr für Jahr immer grösser wurden. Wenn man auf die fettesten Tiere zeigte, wurde einem sofort mitgeteilt, man bekäme auf keinen Fall so einen geschenkt. Es entspann sich ein subtiles Spiel des Abtastens einer beidseitig akzeptierten Grösse durch Vergleiche, mit den vermuteten Dimensionen der Hasen anderer Kinder, mit dem erinnerten Umfang unserer Hasen vom letzten Jahr, und so weiter. Am Ostermorgen, wenn wir nach dem Besuch der Mitternachtsmesse spät aufwachten, stand das Nestchen auf einem Stuhl neben dem Bett. Stand der Schoggihase ausserhalb, weil er nicht hineinpasste, dann hatte man etwas erreicht, einen kleinen Triumph kindlicher Verhandlungskunst.

Kleider waren für mich als kleiner Bub wie ein Schicksal. Sie waren vorhanden, und man musste sie anziehen. Wenn sie dreckig waren oder geflickt werden mussten, verschwanden sie eine Weile und andere traten an ihre Stelle. Bei manchen war man froh, wenn sie nicht da waren, auf andere verzichtete man nicht gerne, weil sie sich immer besser mit dem Körper verbunden hatten. Manchmal waren sie ähnlich verändert wie der Teddybär, wenn sie zurückkamen, steif und kratzbürstig, streng nach Waschmittel riechend. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Kleider aussuchen durfte in einem Laden, oder zuhause aus dem Kasten. Die Mutter bestimmte, was man anzuziehen hatte und die Auswahl war wohl auch nicht sehr gross. Manche Sachen werde ich vom grösseren Bruder übernommen und ausgetragen haben. Manchmal wurde etwas Besonderes angeschafft. Zur Hochzeit einer Tante bekamen mein Bruder und ich schwarze Lackschuhe, oder besser Lackschühchen, denn da war ich noch sehr klein. Ausserdem zog man uns zu dem Anlass Gilets mit grünem Schottenmuster und dazu kleine schwarze Krawatten an. Ich trug alles mit Stolz, obwohl die Schuhe sehr hart waren und drückten. Ich hatte bei diesen Objekten nicht das Gefühl, sie gehörten mir. Zu meinen ersten Schlaghosen, die meine Mutter Jahre später dem Bruder und mir sehr überraschend kaufte, entwickelte ich aber ein Besitzgefühl. Ich wunderte mich darüber, dass ich plötzlich als einer der ersten unter meinen Klassenkameraden ein so auffällig modisches Kleidungsstück tragen durfte. Offenbar wollte meine Mutter, dass wir auf diese Weise aufflielen. Ich wurde nicht schlau daraus, aber die Hosen gefielen mir ausserordentlich. Sie schlugen, mit einer leichten Verzögerung, bei jedem Schritt gegen die Waden, und die kegelförmigen Röhren warf sich nach vorne, den beabsichtigten Gang vorausnehmend. Ich marschierte wohl die meiste Zeit mit gesenktem Kopf umher, weil ich meine Hosenschläge nicht aus den Augen lassen konnte, und suchte in Bustüren und Schaufenstern mein Spiegelbild. Das war zur gleichen Zeit, als manche Mädchen weisse Strumpfhosen trugen und ich mich für ihre Beine zu interessieren begann, also etwa 1965.

Mit meiner Grosstante durfte ich eine Londonreise machen, da war ich knapp sechzehn. Ich hatte etwas Taschengeld mitbekommen und wusste, dass ich mir damit zum Beispiel Schuhe kaufen durfte, weil ich welche brauchte. Ich lotste die Grosstante in einen popigen Kleider- und Schuladen im Soho, wo ich Schuhe mit dicken Sohlen und runden Kappen gesehen hatte. Sie war sehr wohlwollend gegenüber den Ideen und Wünschen von jungen Menschen, aber ich spürte ihre Skepsis, als wir in den mit Hippieklamotten vollgestopften Laden traten. Ich wusste auch, dass ich den Bogen gegenüber meinen Eltern nicht überspannen durfte, also suchte ich mir ein Paar Schuhe aus, die eindeutig Pop waren, von denen ich andererseits erhoffen konnte, dass sie den lauhen Segen der Erwachsenen erhielten. Ich behielt die Schuhe nach dem Kauf gleich an, und wieder konnte ich es nicht lassen, dauernd nach unten zu schauen beim Gehen. Es sah einfach richtig gut aus. Die glänzenden, sich hoch und wunderschön rund wölbenden Schuhkappen erlitten bald ihre ersten Kratzer, die mich wie Stiche ins Herz trafen. Bald aber zeigte es sich, dass die grösseren und kleineren Verletzungen des Leders sich auf tröstliche Weise zu einer Struktur, zu einem Muster von Gebrauchsspuren zusammenfanden. Ich konnte meine Schuhe mit andern vergleichen, die, an den Füssen abenteuerlicher, zottelig langhaariger Gestalten, durch London spazierten, und sah, dass meinen Schuhe ein gutes Alter beschieden war. Ich schritt auf dem Pflaster der Popstars dahin. Fast habe ich mit meiner Grosstante damals die Beatles gesehen, bei einem ihrer letzten gemeinsamen, öffentlichen Auftritte. Wir waren gegen Abend noch in der Stadt unterwegs, als wir in eine immer dichter werdende Menschenmenge in der Regent Street gerieten. Als wir nachfragten, sagte man uns, dass heute Abend die Premiere des Trickfilms Yellow Submarine im London Pavilion stattfinde, und dass die Beatles angekündigt hätten, sich den Film gemeinsam anzusehen. Ich konnte es fast nicht glauben, es waren Zehntausende in den Strassen, und die meisten würden nichts sehen als vielleicht von weitem einen der vier Rolls Royce! Und es kam noch besser, als meine Grosstante vorschlug, wir könnten den Film am nächsten Morgen als Matinée im Regent Street Cinema anschauen. Es war grossartig, die Musik der Beatles durch diesen Raum aus Plüsch und Plattgold donnern zu hören. Alles war aufgehoben und frei schwebend, und Nowhere Man trieb mir das Wasser in die Augen. Isn't he a bit like you and me?

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