Freitag, 4. September 2020

Zeug_1


Wie alle Kinder haben mich Dinge angezogen, deren ausgefeilte Form auf eine bestimmte, mir jedoch noch verschlossene Verwendung hindeutete. Wenn sie dazu bewegliche Teile aufwiesen, oder wenn sich mit ihnen Spuren erzeugen liessen, machte sie das für mein erkundendes Spielen umso interessanter. Leider waren diese Dinge, die von den Erwachsenen Werkzeuge oder gar Instrumente genannt wurden, meist für Kinder verboten, und sie waren mir rasch aus der Hand genommen, worauf ein längerer Vortrag über die Bezeichnung, den eigentlichen Verwendungszweck, die Gefahren sowie die zukünftigen Regeln des Gebrauchs, oder halt nur des Betrachtens meinerseits, erfolgte.

Im Einflussbereich meiner Mutter gab es zum Beispiel zwei Instrumente, die ähnlich geformt, aber aus unterschiedlichen Materialien gefertigt waren. Es handelte sich um Rädchen, die mittels einer kurzen Achse drehbar an einem Griff befestigt waren. Das eine war aus Holz, roch ganz leise ranzig, und befand sich in einer Schublade der Küche. Beim andern, das sich im Umfeld der Nähsachen befand, waren Rädchen, die Achse und Lagerung aus einem schwarzen Metall, befestigt in einem glänzenden, wohlgeformten kurzen Griff aus Holz. Während das Rad aus Holz einen Zickzack-Rand aufwies, hatte das metallene aggressive Spitzen, die beim Abrollen auf einer Fläche eine gepunktete Spur hinterliessen. Dieses Experiment war nun aber genau so eines, das mir strengstens verboten wurde, vor allem auf der Tischfläche. Nun schau doch mal, was du angerichtet hast, da sind Löcher, im Esstisch! Später, als der Ärger der Mutter etwas verflogen war, wurde mir erklärt und gezeigt, wie man, nie ohne Unterlage!, mit dem Rädchen Schnittmuster auf andere Papiere oder auf den Stoff übertragen konnte, im ersten Fall als Linien aus feinen Löchern, im zweiten als weisse Punkte, deren Farbe von einem beschichteten Kopierpapier stammten. Mit dem hölzernen Rädchen in der Küche liess sich Teig so zerschneiden, dass er danach einen gezackten Rand aufwies. Da meine Mutter gut und gerne kochte, machte sie manchmal sogar Ravioli selber. Dabei kam das Rädchen zum Einsatz, und ich durfte helfen.

Die Schubladenmöbel unter der Werkfläche, die sich über die ganze Breite des Esszimmers erstreckte, waren wunderbar gefüllt mit Werkzeug, aber für uns Kinder absolut tabu. Natürlich habe ich die Schubladen trotzdem immer wieder herausgezogen, vor allem die kleinen, um zu schauen, die zum Teil winzigen Zangen zu bewundern, oder die metallenen Stäbchen, deren polierten Enden Sternchen und Blümchen aufwiesen. Punzen hiessen die, und mein Vater konnte mit einem einzigen satten Schlag seines Hämmerchens die Verzierungen ins Blech übertragen. Er legte Wert darauf, dass wir die richtigen Bezeichnungen der Werkzeuge lernten, bei den Zangen zum Beispiel Rundzangen von Flachzangen oder Halbrundzangen unterscheiden konnten. Das Beisszangen auch Vor- oder Vornschneider genannt wurden, und dass es daneben Seitenschneider gab. Viele der kleinen Zangen hatten polierte Backen, was sehr wichtig war, damit das bearbeitete Metall keine unnötigen Prägespuren erhielt. Darum merkte mein Vater später, als wir selber bastelten und werkten, und dabei manchmal das Verbot missachteten, seine feinen Werkzeuge zu benützen, immer sofort an den Spuren unseren Murks damit. Dann konnte er richtig wild werden, und schimpfte wie sonst kaum je. Am schlimmsten traf es ihn, wenn er eines seiner geliebten Zänglein verrostet im Garten fand. Mit Metall konnte mein Vater sehr gut umgehen, vor allem im Formen von Blech durch Ziselieren und Treiben war er ein Virtuose. Ich weiss nicht mehr, ob bei ihm, meiner Mutter oder bei einer Kollegin in der Schule der Wunsch entstand, Stoff in der Batiktechnik zu bemalen. Jedenfalls suchte mein Vater im Geschäft für Kunstbedarf, beim Rebetez in der Bäumleingasse, nach den kleinen Dingern, mit denen man das Wachs auf den Stoff aufbringen kann. Batikkännchen heissen sie, etwas prosaisch, auf Deutsch. Bei Rebetez hatte sie welche direkt aus Japan, mit dem geheimnisvollen Namen Tjanting. Sie waren allerdings sehr teuer, und dabei noch handwerklich schlecht gemacht. Mein Vater kaufte widerwillig zwei davon, machte aber aus seinem Urteil keinen Hehl und sagte zum Verkäufer, nicht ganz ernst, er könne die besser und billiger machen. Daraus wurde ein Auftrag, und über die folgenden Jahre produzierte er für den Laden immer wieder zwischendurch eine kleine Serie Tjanting aus Kupfer, für die er die Hälfte des Verkaufspreises erhielt.

In Beijing kaufte ich einmal zwei winzige Hobel, der kleinere ist nur gerade sechs Zentimeter lang. Ich hatte damals keine Ahnung, wofür die gebraucht werden. Erst jetzt, Jahrzehnte später, leisten sie mir gute Dienste beim Zurichten von Bambusstäben, die ich für meine Drachen brauche. Ich verwende sie auf Stoss, obwohl ich weiss, dass Asiaten praktisch immer ziehend hobeln. Ich habe es versucht, aber ich müsste es neu lernen.

In der Kunstgewerbeschule hatten wir anfangs der 1970er-Jahre Unterricht in Holzbearbeitung bei einem Schreiner. Bei der ersten Arbeit, die ich dort als Aufgabe erhielt, konnte ich zwar selber bestimmen, was ich machen wollte, durfte dazu aber keine Maschine benützen. Ich entwarf eine würfelförmige Kiste mit Deckel, die als Hocker dienen sollte, und in deren Innerem sich Vynil-Schallplatten verstauen liessen. Im Laufe der Fertigung lernte ich Werkzeuge und deren Gebrauch kennen, die für mich neu waren, vor allem Hobel. Die Rauhbank, einen besonders langen Hobel, verwendete ich, um die Stirnseiten der Bretter zu richten. Dazu wurde er auf der Seite liegend gestossen, und das Werkstück musste gegen einen Hartholzklotz gedrückt werden, damit das Ende der Kante nicht ausbrach. Später habe ich mit Nut- und Grundhobel die Schlitze, oder eben Nuten, in zwei der Bretter angebracht, für die Eckverbindungen. Ich liebte diese Werkzeuge, auch wenn sowohl ihre Einstellung als auch Handhabung Zeit und Übung erforderten. Ich habe sie mir später selber angeschafft, auch den Falzhobel, und mit dem ganzen Set war es mir möglich, ein kleines Kellerfenster zu ersetzen, ganz von Hand und mit allen erforderlichen Profilen. Den damit verbundenen Stolz, eine ganz spezielle Art von gutem Gefühl, das einen ergreift, wenn man handwerklich etwas hinbekommen hat, lernte ich früh kennen, und noch immer zieht es mich dorthin.

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