Dinge, auch unscheinbare, können einen um Generationen überleben. Es gibt in unserem Atelierhaushalt einen kleinen Tisch aus Kirschholz, den wir beim Kauf des Hauses als eines von ganz wenigen Dingen übernommen und behalten haben. Es könnte sein, dass das kleine Möbelstück noch aus der Zeit des Architekten stammt, der das Haus für sich und seine Familie 1907 gebaut hat.
Das Tischchen sah ich zum ersten Mal als Kind, und zwar in der Mansarde des Hauses, das dann nicht mehr der Familie Gfeller gehörte, sondern einer Frau D, die darin als Witwe wohnte, zusammen mit ihrem jüngsten, geistig behinderten Sohn. Frau D war die Grossmutter eines meiner Spielkameraden, dem jüngsten Kind der Familie H, mit der meine Eltern auf eine etwas komplizierte Weise befreundet waren. Ich wurde einmal mitgenommen ins Haus der Grossmutter, und wir durften auf dem Estrich spielen, der sich, aufregend und etwas gruselig dunkel, um die Mansarde zog wie der Gang einer Geisterbahn. In einer Pause unseres Spiels führte mich mein Kamerad zu Werni. Dieser sass im schwachen Schein einer Lampe an einem kleinen Tisch und arbeitete an seinen Musikkatalogen. Aus den Broschüren eines Musikhauses schrieb er Titel um Titel akkurat ab in ein Heft, in Grossbuchstaben, auf jeder Zeile in einer anderen Farbe, und er zeigte uns sein Werk mit würdevollem Stolz. Dass diese Tätigkeit als bizarr angesehen wurde, merkte ich erst am Verhalten und an den Äusserungen der Familienmitglieder, die sich, zwar nicht lieblos, aber doch recht ungeniert, über ihren Webstübeler lustig machten.
Wernis Tischchen aus Kirschenholz ist nun ein Werktisch, an dem ich handwerkliche Arbeiten für meine Kunstprojekte ausführe. Es steht immer noch, oder wieder, auf demselben Estrich, in deren Mansarde Werni seine farbigen Listen malte. In meiner letzten Ausstellung wurde es in eine grosse Installation eingebaut. Ich habe die unaufgeräumte Situation, die ich beim Modellieren darauf angerichtet hatte, fotografiert, und in der Ausstellung mit allen Dingen, mit allen Tonbröseln und mitsamt dem Staub, wieder aufgebaut. Es hat mich erstaunt, wie sehr sich das kleine Möbel durch die Verschiebung des Kontextes in meinen Augen veränderte, und wie vollständig es sich danach wieder in das ganz normale Werktischchen zurück verwandelt hat. Ich habe Drachen darauf gebaut, für ein nächstes Vorhaben und im Moment ist es belegt mit Schachteln voller Bilder und Dokumente, die ich für meinen Roman brauchte. Mir gefällt der Gedanke, dass das Tischchen noch viel länger leben könnte als ich. Auch wenn, oder gerade weil dann niemand mehr wissen wird, wie einst Werni daran gearbeitet hat, und dass ich an einem der gedrechselten Beine ein Astloch sorgfältig mit Kirschholz geflickt habe.
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