Montag, 22. August 2022

Weisse und schwarze Schwäne

Es waren die von den meisten nicht vorhergesehenen Ereignisse der letzten Jahre, die den Begriff des «schwarzen Schwans» («black swan») erneut zur Diskussion stellten. Der Publizist und ehemalige Optionshändler Nassim Nicholas Taleb hatte 2007 ein Buch mit dem Titel «Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse» publiziert und darin eine Metapher des römischen Satirikers Juvenal aufgegriffen, der – als typischer Macho – die Seltenheit einer treuen Ehefrau mit diesem Tier verglichen hatte, von dem er allerdings annahm, dass es ganz und gar inexistent sei. Erst nach seiner Entdeckung in Westaustralien durch niederländische Eroberer wurde der schwarze Schwan dann zur Metapher für ein sehr unwahrscheinliches, aber eben mögliches Ereignis.
Als im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie der Vergleich vielfach in den Zeitungen auftauchte, habe ich das Buch von Taleb gelesen, das spannend beginnt, dann aber durch zu viele Wiederholungen seinen Schwung verliert. Störend sind auch die dauernden Seitenhiebe gegenüber den früheren Berufskollegen, die er als betriebsblind und der Macht der Gaussschen Kurve erlegen bezeichnet. Nach zwei Beispielen hätte man es als Leser verstanden.
Ich habe dann begonnen, mich mit dem schwarzen Schwan ganz direkt – als Bild oder Objekt – zu beschäftigen. Ich baute zum Beispiel Drachen in dieser Gestalt. Oder ich erstellte von einem kleinen Fundobjekt in der Gestalt eines Schwans eine Gussform, mit der ich dutzendfach weisse und schwarze Schwäne aus Parafin und aus Pech giessen konnte. Ich hatte die Absicht, diese irgendwann einmal im öffentlichen städtischen Raum ‘auszusetzen’.
Nun haben sich die kleinen schwarzen Schwäne ihrem Ruf entsprechend verhalten und ihre Form in nicht vorhersehbarer Weise verändert. Pech ist ein Stoff, der aus organischem Material (z. B. Holz oder Erdöl) mit dem Verfahren der Pyrolyse gewonnen wird. Dazu setzt man das Ausgangsmaterial längere Zeit hohen Temperaturen aus, aber unter Luftabschluss. Dies verhindert die Verbrennung und führt zu einer chemischen Spaltung, deren eines Produkt das Pech ist. Es fällt zunächst als Flüssigkeit aus und kann dann durch Kochen verdickt werden, bis es fest wird. Das Pech, welches ich für meine Güsse verwendet habe, bezog ich von einer Firma, die Bedarf für Silber- und Goldschmiede herstellt. In jenem Zusammenhang wird es zum Beispiel verwendet als zähplastische Unterlage von Blechen, die man durch Schläge oder Druck verformen will.
Nach dem Abkühlen wurden die schwarzen Schwäne hart. Das Material bricht sogar sehr leicht und glasig. Bei längerem Aufbewahren in Zimmertemperatur zeigte sich jedoch, dass das Pech eine Flüssigkeit geblieben ist. Die Schwäne legten alle ihren Kopf zur Seite, dann sogar auf ihren Körper, was recht anmutig aussieht. Auch der Körper fliesst, wenn auch viel unscheinbarer, in die Breite, und man ahnt, dass die Schwäne irgendwann ineinander zerfliessen würden.

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